Zwischen Gründerzeit und Plattenbau – Die Kiesbahn Leipzig-Lindenau

In der letzten Ausgabe des Ortsblatts 04/2021 wurde das Thema bereits angerissen: die heute als „Schönauer Lachen“ bekannte Sekundärlandschaft war viele Jahre eines der größten Kiesabbaugebiete der DDR. Zur Rohstoffgewinnung für die Bauwirtschaft einer sich rasant entwickelnden Großstadt betrieb die Westend-Baugesellschaft seit 1893 Sand- und Kiesgruben.
Schon im Jahr 1891 war das Mörtelwerk am Kanal (heute: Jugendzentrum „Kanal 28“ und Café Moertelwerk) in Betrieb genommen worden. Während der für die Zementmörtelherstellung erforderliche Branntkalk per Bahn über das Anschlussgleis vom Bahnhof Plagwitz her angeliefert wurde, kamen Kies und Sand aus den Gruben in der Nachbarschaft. Die Anlieferung erfolgte mit der bisher zwischen den verschiedenen Baustellen Karl Heines wandernden Baufeldbahn. Solche Schmalspurbahnen einfachster Bauform waren schnell zu verlegen, weshalb ihre Streckenführung leicht verändert werden konnte. Ihre Blütezeit begann in den 1870er Jahren, Karl Heine setzte sie für seine Bauvorhaben wohl bereits seit den 1850er Jahren ein.
Zunächst wurden die Loren noch von Pferden gezogen, die ersten Lokomotiven kamen ab 1896 zum Einsatz. Es handelte sich um Elektrolokomotiven – neueste Technik zu dieser Zeit. Der nötige Strom wurde in einem Anbau des Mörtelwerks erzeugt, wo auch eine Zentralwerkstatt und ein Lokschuppen entstanden. Erst einige Jahre später kamen Dampfloks zum Einsatz, die damals noch zugkräftiger und betriebssicherer waren.
Seit Erschließung der neuen Abbaugebiete jenseits der Lützner Straße war das Streckennetz der Kiesbahn erheblich Richtung Norden gewachsen. Die Transportleistungen erhöhten sich stetig, auch weil seit 1906 Eimerkettenbagger die Abbautechnik modernisierten. In den folgenden Jahrzehnten wanderte der Streckenverlauf mit der Erschließung neuer Gruben immer weiter nach Norden und Westen. Ihre Leistungsfähigkeit bewies die kleine Bahn vor allem nach dem 2. Weltkrieg, als sie immense Mengen an Rohstoffen für den Wiederaufbau des zerstörten Leipzig zu befördern hatte. 1960 war die größte Ausdehnung erreicht: auf dem 12 km langen Streckennetz waren bis zu 35 Lokomotiven und 700 Kipploren unterwegs.
Nachdem sich die Kiesvorkommen erschöpften und Plattenbautechniken das Bauwesen modernisierten, begann der Niedergang der Kiesbahn. 1967 wurden der E-Lok-Betrieb eingestellt und das Mörtelwerk stillgelegt. Weiterhin pendelten drei Dieselloks zwischen der Rückmarsdorfer Grube und der Siebanlage am Lindenauer Hafen. Als 1991 ein neues Kieswerk direkt im Grubengelände den Betrieb aufnahm, wurde die Bahn endgültig überflüssig, der Abbau der Gleise begann noch im selben Jahr. Gestoppt wurde er gerade noch rechtzeitig durch die Prüfung ihrer Denkmalwürdigkeit.
Der Verein Museumsfeldbahn Leipzig-Lindenau e.V. kümmert sich seither um dieses einzigartige Erbe. Den derzeitigen Umständen geschuldet beging die Museumsfeldbahn fast unbemerkt ihr dreißigjähriges Bestehen als technisches Denkmal. Am 8. Februar 1992 wurden die Reste der Kiesbahn in die Landesdenkmalliste aufgenommen. Damit konnte Deutschlands ältester Feldbahnbetrieb vor dem Abriss bewahrt werden und zeigt sich heute, nach mittlerweile 165 Betriebsjahren, als beliebter musealer Zeuge der Leipziger Industriegeschichte.
Aus dem anfänglichen Fahrzeugbestand von vier Lokomotiven und sechs Loren sowie knapp einem Kilometer noch liegendem Gleis ist die Sammlung bis heute auf 18 Lokomotiven, 14 Schmalspurwagen und 45 Loren angewachsen, die auf dem nun gut zwei Kilometer langen Gleisnetz unterwegs sind. Ergänzt wird die Sammlung durch einen betriebsfähigen Eimerkettenbagger und historische Baufahrzeuge, mit denen sich der Kiesabbau lebendig nachstellen lässt.
Wegen fehlender Einnahmen – coronabedingt entfallener Fahrtage – liegen die Projekte Streckenverlängerung Richtung Luisenbrücke und der Bau eines historisches Kieswerks zur Zeit leider auf Eis. Trotzdem konnten letztes Jahr neue Fahrzeuge beschafft werden und umfangreiche Gleisbauarbeiten zum Erhalt der Strecke durchgeführt werden.
Der Verein freut sich, dass die beliebten Osterfahrtage nach zwei Jahren Pause wohl nun stattfinden können. Termine unter: www.museumsfeldbahn.de

Der offene Ausflugszug der Museumsfeldbahn Lindenau bei der Einfahrt im Hafengelände.
Foto: Michael Lückert