Vor 300 Jahren: Bach wird Thomaskantor

Es war knapp damals vor 300 Jahren – fast wäre Johann Sebastian Bach gar nicht Thomaskantor in Leipzig geworden. Denn er galt unter den Bewerbern nur als „dritte Wahl“. Nachdem der bisherige Kantor Johann Kuhnau im Sommer 1722 gestorben war, sollte der bereits berühmte Georg Philipp Telemann Nachfolger werden. Doch Telemann war Kantor und Musikdirektor in Hamburg und blieb auch dort, zumal ihm diese Entscheidung mit einem Gehaltszuschlag erleichtert wurde.
Nächster Wunschkandidat des Leipziger Rates für die vakante Stelle war der Darmstädter Kapellmeister und ehemalige Thomaner Christoph Graupner. Doch auch ihn wollte sein Dienstherr nicht nach Leipzig ziehen lassen. „Da man nun die Besten nicht bekommen könne, so müsse man mittlere nehmen“, hieß es dazu im Ratsprotokoll. Unter diesen mittleren Bewerbern befand sich auch Johann Sebastian Bach, er setzte sich schließlich durch, und am 22. April wurde seine Berufung zum Thomaskantor beschlossen. Am 30. Mai 1723 fand die Amtseinführung statt.
Zu Bachs Pflichten gehörte, die Thomasschüler zu unterrichten und die gesamte Kirchenmusik zu verantworten. Die Bedingungen, die er für sein Wirken vorfand, waren jedoch unzulänglich: Die Thomasschule, in die Bach mit seiner zweiten Ehefrau Anna Magdalena, der gemeinsamen Tochter sowie den Kindern aus erster Ehe zog, befand sich im Zustand des Verfalls, im Haus tummelte sich Ungeziefer. Dennoch absolvierte Bach ein außergewöhnliches Arbeitspensum, vor allem in den ersten Jahren nach Amtsantritt. Für jeden Sonntag und jeden Festtag komponierte er eine Kantate und studierte sie mit dem Chor und den Musikern ein. In den 27 Jahren seines Leipziger Wirkens schuf Bach ein umfangreiches Werk mit Vokal-, Instrumental- und Kammermusik.
Ab 1729 übernahm der Thomaskantor auch das Collegium Musicum, ein studentisches Ensemble, das regelmäßig private und öffentliche Konzerte gab, meist im Zimmermannschen Kaffeehaus. Zu besonderen Anlässen komponierte Bach auch weltliche Kantaten wie die berühmte „Kaffee-Kantate“.
In der Familie Bach wohnten Freude und Leid dicht beieinander. Weitere zwölf Kinder kamen in Leipzig zur Welt, die Hälfte von ihnen starb in jungen Jahren. Aber auch die häufigen Auseinandersetzungen mit dem Leipziger Rat ließen Bach darüber nachdenken, Leipzig zu verlassen. Schließlich aber blieb er doch – bis zu seinem Tod am 28. Juli 1750, von dem die Stadt kaum Notiz nahm.
Danach geriet Bachs Werk rasch in Vergessenheit. Erst Felix Mendelssohn Bartholdy leitete eine Bach-Renaissance ein und verschaffte dem Komponisten Weltgeltung.
Text | Fotos: Dagmar Schäfer

Während das 1908 von Carl Seffner geschaffene Bach-Denkmal am Thomaskirchhof als Symbol weltweiter Bach-Verehrung gilt (auf der Rückseite die Ansicht der 1902 abgebrochenen Thomasschule, ist das alte Bach-Denkmal in den Promenadenanlagen, 1835 auf Anregung von Felix Mendelssohn Bartholdy entstanden, viel weniger bekannt (v.l.n.r.).