Taktile Früherkennung jetzt auch in Schönefeld

Im Gespräch mit Elvira Häußler über discovering hands

„Ich bin nicht gern abhängig, was ich kann, mache ich meist selbst“, erklärt Elvira Häußler mit einem ansteckenden Lachen. Klingt nach emanzipierter Frau. Davon gibt es viele. Das Besondere an Elvira Häußler ist jedoch, dass sie von Geburt an blind ist und sich vor allem auf ihren Tastsinn verlassen muss und kann. Diese herausragende Eigenschaft hat sie nun zum Beruf gemacht. Seit November 2020 arbeitet sie in Leipzig als Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU). Möglich gemacht hat ihr die fast einjährige Ausbildung das Sozialunternehmen discovering hands, das eng mit Berufsförderungswerken kooperiert und letztendlich auch die Verbindung zu Frauenarztpraxen herstellt.

Als Elvira Häußler mit der Ausbildung begann, stand sie kurz vor ihrem 50. Geburtstag. Die Möglichkeit, sich nochmals auf die Schulbank zu setzen, um sowohl ihre „angeborene“ Tastfähigkeit zu intensivieren und sich medizinisches Wissen anzueignen, hat sie mit Freude angenommen. „Ich kann gut lesen und schreiben“, erklärt sie selbstbewusst. „Aber Büroarbeit ist nicht mein Fall.“ In Günzburg (Bayern) geboren, arbeitete sie 25 Jahre in England als Bildungsreferentin. Mit dem Brexit wollte sie nach Deutschland zurück – in eine Großstadt mit gut funktionierenden öffentlichen Verkehrsmitteln und kultureller Vielfalt: die Wahl fiel auf Leipzig. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Blindenführhündin Maggi fand sie in Probstheida ein neues Zuhause. Der Anschluss an die Chorgemeinschaft der Probsteikirche verschaffte ihr neue Freunde und die Ausbildung als MTU ein berufliches Standbein.

„Ich helfe und berate gern. Und ist es nicht ganz wichtig, dass Frauen ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen und rechtzeitig Fürsorge betreiben?“ Bei dieser Frage dreht sie an einer kleinen Kette, auf der Holzperlen in verschiedenen Größen aneinander gereiht sind (Foto). Die große mit etwa drei Zentimeter Durchmesser ertastet jede Frau unbesehen selbst, aber da stehen die Zeichen schon auf Rot, erklärt sie. Mit ihren „erkennenden Händen“, kann sie schon winzige Knötchen ertasten. „Je kleiner, desto größer sind die Heilungschancen“, erklärt sie.

Aber gehört das Abtasten der Brust nicht zur ganz normalen Vorsorgeuntersuchung? Elvira Häußler nickt, aber fügt sie an, das reicht nicht aus. Ideal wären folgende Früh–erkennungsmethoden: die jährliche Vorsorgeuntersuchung beim Frauenarzt, die Taktilographie, die Sonographie und Mammographie durch eine sanfte, ausführliche, apparate- und strahlungsfreie Methode ergänzt. Und nicht zu vergessen, so betont sie, die Selbstuntersuchung. Davor, so weiß sie aus ihren bislang gewonnenen Erfahrungen, haben viele Frauen Angst. Die einen, weil sie befürchten, überhaupt etwas zu entdecken, die anderen, weil sie sich vor neuen Knoten ängstigen. „Die meisten“, so macht sie Hoffnung, „sind gutartig. Schon deshalb sollte man den Tastbefund schnellstens abklären lassen.“

Zurzeit nimmt Elvira Häußler an einer Weiterbildung zum Thema „Selbstuntersuchung“ in Berlin teil. Dieses Wissen möchte sie künftig ebenfalls an Frauen weitergeben. Gegenwärtig, so erfahren wir von ihr, wird auch an einer digitalen Anleitung gearbeitet, aber der persönliche Kontakt ist doch etwas ganz anderes.

Eine Stunde Zeit nimmt sich Elvira Häußler für Anamnese und Untersuchung. Millimeter für Millimeter tastet sie die Brust mit ihren Händen ab. Selbstklebende Orientierungsstreifen dienen dabei als Koordinatensystem (Foto rechts). Danach zeichnet sie alles genauestens auf, überträgt das Ergebnis in den PC. Die Diagnose und das abschließende Patientinnengespräch führt der jeweilige Frauenarzt. Bereits 29 gesetzliche und alle privaten Krankenkassen übernehmen die Untersuchungskosten.

Bislang führte Elvira Häußler ihre taktile Untersuchung in Frauenarztpraxen in Naunhof, Zwenkau und im Brustzentrum St. Georg durch. Seit 4. März ist sie jeden Freitag von
8 bis 13 Uhr in der Schönefelder Frauenarztpraxis von Gabriele Stenz erreichbar. Interessierte Frauen können direkt über die Frauenarztpraxis einen Termin vereinbaren:

Frauenarztpraxis Gabriele Stenz, Waldbaurstraße 4-6
Telefon: 0341 | 2 31 12 92