Ordnung ist das halbe Leben

„Ordnung“, pflegte meine Mutter zu sagen, „ist das halbe Leben!“ Und ich habe mich nie gefragt, was denn die andere Hälfte sei. Jetzt weiß ich das.
Anwohner haben das Ortsblatt-Leipzig mit dem Wunsch angesprochen, einmal über einen Mann aus ihrem Wohngebiet zu berichten, der Dank und Wertschätzung verdient habe.
Dieser Mann, Hans Schulze, hat seine Kindheit im Kinderheim verbracht, leidet an einer seltenen Behinderung, wäre gern Schmied geworden, war aber Stahlbauschlosser, und er ist heute Rentner. Seit vielen Jahren schon lebt er mit seiner Frau in Stötteritz, kennt den Stadtteil; der Stadtteil kennt ihn. Tagtäglich, bei Wind und Wetter, schnappt er Beutel und Greifzange, streift sich seine orangefarbene Arbeitsjacke über, um das Wohngebiet von Müll zu befreien: Kippen, Hinterlassenschaften von Hunden und deren Besitzer, Sperrmüll oder Weihnachtsbäumen, die an nicht dafür vorgesehenen Orten liegen…
Hans Schulze tut das, ohne auch nur einen Cent dafür zu bekommen. „Ich bin ein ordentlicher Mensch, ich liebe Ordnung“, erklärt er.
Darf nicht aber auch Fleiß Belohnung finden? Für Hans Schulze kein Thema. „Ich erfahre Dankbarkeit und kann ein Vorbild gerade für Kinder sein“, so seine Sichtweise. Und in der Tat bekommt er dann auch mal ein paar Äpfel aus dem Garten oder andere Dinge geschenkt. Darüber freut er sich,
das hilft wirtschaf-
ten, denn seine Rente ist schmal. Außerdem sei Bewegung an der frischen Luft ein schöner Lohn. Freudig verkündet er: „Aber das Schönste an meinem Tun sind die Begegnungen mit Menschen!“ Sie machen das Leben reicher, und durch sie habe auch er schon wichtige Hilfe bekommen können. Dafür sei er dankbar. Außerdem, so fügt er an, würde über so vieles Negatives gesprochen – die Welt brauche mehr positive Nachrichten!
Begegnungen, so schlußfolgere ich, sind das halbe Leben, Ordnung die andere Hälfte.
Text | Foto: Oliver Bönisch