Wohnen im Wagen

Eine ganze Wohnung auf 16 qm: Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer. Das sind kurze Wege – ein Schritt vor die Tür, schon steh ich im Grünen und je nach Jahreszeit auch mal im Regen oder Schnee. Doch jetzt ist Sommer und morgens grüßt die Amsel vom Baum, während die Nachbarstochter zur Schule radelt. Ich schnappe mir zwei Kanister und hole Trinkwasser von Freunden zwei Häuser weiter. Als ich wiederkomme, hacke ich Holz für den Winter – ein Specht leistet mir Gesellschaft. Eine Eidechse läuft über den Weg, Hundegebell mischt sich mit Motorgeräuschen. Das Leben auf dem Platz erwacht, ich grüße Leute auf dem Weg zur Arbeit, Leute, die auf dem Platz arbeiten und welche, die noch vom letzten Konzert aufräumen.

Heute ist bei mir Haushaltstag, ich habe frei, sonst bin ich auf den Straßen Leipzigs als Straßenbahnfahrerin unterwegs. Ich muss eine neue Pumpe einbauen für mein „fließend Wasser“ in der Küche. Und das Solarpanel braucht auch mal wieder einen Check. Und ich muss Sachen aussortieren, kleiner Raum bedeutet Reduktion auf das Wesentliche. Wesentlich sind Bett, Musikanlage, eine Kochplatte und Klamotten. Ich schaue in der Tausch-Ecke, ob etwas für mich dabei ist und werde fündig. Eine Taschenlampe. Die ist wichtig, um nachts im Teich Molche zu beobachten oder wenn mal wieder Stromausfall ist. Ich gieße noch schnell das Gemüse im Gewächshaus, dann kommen die Kinder aus der Kita und von der Schule und bringen Trubel und Gewusel mit.

Sie ziehen los in den Garten, über den Platz, stromern herum, entdecken und forschen, genießen ihren Freiraum. Ein Mitbewohner zieht aus und sucht Hilfe beim Schieben seines Wagens. Viele Hände helfen. Danach wird rumgestanden, Bier getrunken und geredet, während Musik vorne aus der Halle dringt. Dort probt eine Band für ihren nächsten Auftritt. Es wird Abend und mit der Dämmerung kommen die Fledermäuse aus ihren Verstecken und ziehen ihre Bahnen.

Im und um den Wagen gibt es immer was zu tun und ständig muss etwas repariert werden. Das Leben ist zeitaufwändiger und genügsamer. Trotzdem freut mich das Gefühl, mein Leben selbstbestimmt in der Hand zu haben, nach meinen Vorstellungen zu entwickeln und in einer Gemeinschaft zu leben, auf die ich mich verlassen kann. Und wenn der Regen abends leise auf das Dach trommelt und die Vögel im ersten Sonnenlicht zwitschern, dann weiß ich, ich bin zu Haus‘.

Text: Sylvia Bittner

Frühlingsstimmung auf dem Wagenplatz.
Foto: karlhelga e. V.