Wo sind die Gebeine aus der Leipziger Paulinerkirche geblieben?

Historiker suchen Zeitzeugen

Im Dunkeln ist gut munkeln. Anders ausgedrückt: Wo sind die Gebeine der vermutlich 800 verstorbenen Leipziger aus der 1968 gesprengten Paulinerkirche geblieben? Dieser Frage widmete sich der Historiker Friedemann Meißner am 17. September per Vortrag im Leipziger Stadtarchiv.
Am 30. Mai 1968 wurde die Kirche St. Pauli am Leipziger Augustusplatz auf Beschluss der SED gesprengt. Die Details der nur einwöchigen Räumungsaktion vor der Sprengung geben bis heute Rätsel auf. Insbesondere bleibt offen, wo die zahlreichen Gebeine aus drei Gruftetagen unter dem Gotteshaus geblieben sind. Im Laufe der über 700-jährigen Geschichte war St. Pauli über 200 Jahre hinweg als Grablege für Bestattungen honoriger Bürger und Professoren genutzt worden.

Tote lagen „in prächtiger Kleidung“
„Er lag ungefähr bekleidet wie Luther“, zitierte Friedemann Meißner den in der Messestadt lebenden Zeitzeugen Wilfried Krause (78). Dieser hatte demnach am 24. und 25. Mai 1968 für jeweils zwölf Stunden als Bauarbeiter und unter Schweigegebot die Grüfte unter dem Kirchenschiff „beräumt“. Nicht verweste Leichname barg er hierbei zum Umbetten in Kindersärge. Auf allen drei Etagen hätten „Tote in prächtiger Kleidung“ gelegen, so die Erinnerung. Den Arbeitern habe man erzählt, die Leichen kämen auf den Südfriedhof. Laut Krauses zeitlicher Wegewahrnehmung hätten die abtransportierten Kindersärge dieses  Ziel aber eher nicht erreicht.  Auf den Südfriedhof wurden 1968  offenbar einzig die Gebeine des 1746 verstorbenen – einst wie Luther in ein schwarzes Gewand gehüllt – Chirurgen Daniel Schmidt samt Gattin Dorothea sowie des Dichters Christian Fürchtegott Gellert überführt.  Letztlich bleibe das Rätsel zum Verbleib der Gebeine aus der Universitätskirche ungelöst, betonte Meißner.

Wohin gelangten die ganzen Kindersärge?
Dazu fehlen bis dato entscheidende Unterlagen sowie weitere Zeitzeugen. So will damals ein Baggerführer bei der Restbergung im Geröll doch noch Gebeine sowie einen Zinksarg bemerkt haben.
Nach erfolgter Sprengung der Paulinerkirche 1968 seien im Schutt vermutlich doch noch Gebeinreste mit ausgebaggert und  in die Etzoldsche Sandgrube nach Probstheida verbracht worden, mutmaßte Meißner. Hierhin gelangten die Gebäudetrümmer. Später wurde da auch der Schutt der Reudnitzer Markuskirche abgekippt. Jenes Gotteshaus war 1978 wegen Baufälligkeit  gesprengt worden.
Der Vortragsbesucher Dr. Ulrich Stötzner (83) schließt nicht aus, dass in der Sandgrube Gebeine liegen. Er war von 2004 bis 2019 Vorsitzender des Paulinervereins und ist Kurator der Stiftung Universitätskirche St. Pauli. „Wir waren schon einmal fast soweit, dort zu graben“, informierte er. Allerdings hätte das konsultierte Tiefbauunternehmen für die Öffnung der Deponie bis in 25 Meter Tiefe im Kostenvoranschlag drei bis fünf Millionen Euro genannt.
Die Sprengung der Paulinerkirche riss bei vielen Leipzigern eine tiefe Wunde ins Herz. Zur Klärung der genauen Umstände suchen die Historiker nun weitere Zeitzeugen.

Sie können sich beim Paulinerverein melden:
Telefonnummer: 0341 | 9839976
E-Mail: paulinerverein@t-online.de

Text | Fotos: Anke Brod

Die Etzoldsche Sandgrube in Probstheida: Liegen in der Tiefe menschliche Gebeine?