„Wir werden nicht mehr dieselben sein“

Im Gespräch mit dem Leipziger Komponisten Aristides Strongylis

Im November 2020 sprach Ortsblatt-Leipzig schon einmal mit dem aus Athen stammenden Komponisten Aristides Strongylis über die Corona-Krise. Seither hat sich an den Schutzmaßnahmen kaum etwas verändert. Weil Musiker wie er von den anhaltenden Einschränkungen nach wie vor besonders betroffen sind, kamen wir erneut mit ihm ins Gespräch.

Wie fühlen Sie sich heute?
Ich habe Verständnis für die Maßnahmen, auch wenn ich längst müde bin von den anhaltend massiven Einschränkungen. Aber ich habe auch die Hoffnung, dass bis September vielleicht die Hälfte der Bevölkerung geimpft sein wird.

Bis dahin müssen wir weiter durchhalten, das fällt vielen Menschen aber zunehmend schwer …
Natürlich, das merke ich auch an meiner Tochter, meinen Schülern und Studenten. Meine Tochter besucht die vierte Klasse, ihr fehlt es nicht an der nötigen Ausstattung mit digitalen Geräten, und das Lernen zu Hause fällt ihr nicht schwer. Trotzdem war sie zeitweise sehr deprimiert, weil sie den Präsenzunterricht, ihre Lehrer und Mitschüler schmerzlich vermisst hat. Bis zum Sommer gebe ich vertretungsweise Unterricht als Musiklehrer an der 66. Grundschule in Mockau. Da wir aber nicht singen und musizieren dürfen, unterrichte ich zusammen mit einer Lehrerin Mathe und Sachkunde. Ich lerne selbst sehr viel dabei.

Sie haben bereits etliche musikalische Projekte mit Schülern entwickelt, auch gegenwärtig?
Für den MDR ist ein neues Auftragswerk in Arbeit, eine Produktion mit dem MDR Sinfonieorchester im Kontext von MDR-Clara, dem Musik-Netzwerk für Kinder und Jugendliche in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das Auftragswerk trägt den Titel „Rote verlassene Erde“. Es hat bewusst mit der Bewegung „Fridays for Future“ und dem Klimawandel zu tun. Wir wollen dem wichtigen Thema eine Stimme geben. Ich möchte, dass Schüler zusammen mit dem Orchester unter einem Dirigenten auf der Bühne musizieren. Das Stück soll in der Aula der drei teilnehmenden Schulen aufgeführt werden. Die Bewerbungsphase läuft gerade.

Als Coronahilfe hatten sie schon 2020 vom Freistaat Sachsen ein Denkzeit-Stipendium bekommen, wie ist der akuelle Stand dazu?
Dafür habe ich eine alte Komposition von 1998 hervorgeholt und für das von mir geleitete Kammerorchester musica viva neu arrangiert. Das Musikstück „Equilibrium“ ist fertig und wartet auf seine Uraufführung, aber wir dürfen ja immer noch nicht proben. Trotzdem hoffen wir, dass es noch in diesem Jahr aufgeführt werden kann.

Im Mai sollte die Uraufführung Ihres großen Werkes „2020″ nachgeholt werden.
Ich hoffe, dass diese jetzt am 29. Mai in Koblenz stattfinden wird, mit der Rheinischen Philharmonie, das wäre sehr wichtig für mich. Große Stücke sind wie große Schritte in einem Künstlerleben. Es sind Bestandteile der musikalischen Entwicklung eines Komponisten. Die Uraufführung erfolgt ohne Publikum, wird aber im Südwestrundfunk übertragen.

Werden wir irgendwann zu unserem alten Leben zurückkehren können, was glauben Sie?
Auch wenn alles vorbei ist, wir werden nicht mehr dieselben sein, wir werden unterschiedlich aus der Pandemie herauskommen, sie wird Spuren hinterlassen haben bei jedem, nur anders. Die Pandemie hat jetzt schon viel zerstört an Träumen und Visionen, gerade bei jungen Leuten, die mit der Schule, Lehre oder dem Studium begonnen haben. Das merken wir zum Teil bereits jetz.

Und was wird aus der Kultur, die ja schon fast verschwunden ist aus unserem täglichen Leben nach einem Jahr Pandemie?
Die Kulturszene und – ich schätze mal – jeder einzelne Künstler geht gerade durch eine Identitätskrise. Dass Beethoven und Mozart keine Empfehlungen mehr brauchen, ist klar. Was ist aber mit all den lebenden Künstlern? Wie viel Kunst braucht oder fordert die heutige Gesellschaft? Und in welcher Form? Das sind Fragen, die momentan keine klaren Antworten haben. Aus diesem Grund glaube ich, dass Kunst und Künstler sich neu erfinden und positionieren müssen und werden.

Mit Aristides Strongylis sprach Marianne H.-Stars

Spricht von einer Identitätskrise: Komponist Aristides Strongylis.
Foto: Marianne H.-Stars