„Radfahrer sorgen für flüssigen Autoverkehr“

AG Radverkehr der Stadt Leipzig feiert 30. Geburtstag – im Gespräch mit dem Radverkehrsbeauftragten

17,3 Prozent des Verkehrs in Leipzig entfällt auf Radfahrer. Das ist verglichen mit den acht Prozent von NRW super, aber mit den 31 Prozent von Kopenhagen schwach. Dabei haben wir ähnlich kurze Wege und flaches Land. Mehr Radverkehr ist ein wichtiger Teil der Klima- und Verkehrswende. Und der Stadtrat hat in der Mobilitätsstrategie 2030 eine Zunahme des Radverkehrsanteils im so genannten Modal Split auf 23 Prozent als Ziel beschlossen. Der individuelle Pkw-Verkehr soll auf 30 Prozent sinken.
Seit anderthalb Jahren ist Christoph Waack Radverkehrsbeauftragter der Stadt Leipzig. „Hätte ich in der Stadtverwaltung nicht den Willen zur Veränderung gespürt*, hätte ich das Amt nicht übernommen“, sagt der promovierte Geograph, der zuvor vier Jahre Vorsitzender des ADFC Leipzig (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) war. Aber häufig sei das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden, so Waack. Auch bei der Fördermittelvergabe werde die gesetzliche Vorgabe „Sicherheit vor Flüssigkeit des Verkehrs“ noch zu oft vom Autoverkehr aus gedacht. „Dabei sind es neben dem ÖPNV gerade die Radfahrenden, die für flüssigen Autoverkehr sorgen“, betont Waack.
Weniger Autos – besserer Autoverkehr. Autofahrer verunglücken immer seltener tödlich. Radfahrer hingegen sind immer häufiger in Unfälle verwickelt. Die Schuld liegt zu drei Vierteln bei den Autofahrern. Und die Anzahl der getöteten Radfahrer steigt ebenfalls. Dennoch wollen immer mehr aufs Fahrrad (um-)steigen. Größtes Hemmnis ist die gefühlte Unsicherheit. Ein Dilemma: Denn objektiv sind Radstreifen neben der Fahrbahn im Sichtfeld der Autofahrer am sichersten. Subjektiv jedoch fühlen sich Radfahrende auf dem Radweg am sichersten, obwohl dieser im Kreuzungsbereich am allerunsichersten ist.
Etwa alle 14 Tage lädt Waack zur Arbeitsgemeinschaft Radverkehr ein – eine Art runder Tisch der beteiligten Fachämter nennt es Michael Jana, Leiter des VTA. Tatsächlich könne die AG Radverkehr als kleines Vorzeichen der friedlichen Revolution gesehen werden, bestätigt Waack. Sie wurde bereits im Sommer 1989 gegründet, innerhalb der Stadtverwaltung, aber mit Beteiligung von Aktiven aus der damaligen Umweltbewegung. Initiatoren waren Hans-Dieter Gräbe und Ulrich Patzer mit ihrer 1988 veröffentlichten und 185-seitigen Studie „Radfahren in Leipzig“. Der Fahrradanteil lag seinerzeit bei nur fünf Prozent. In der AG Rad werden alle Planungen des VTA vorgestellt und in Bezug auf den Radverkehr bewertet. Die Wünsche fließen in die weitere Planung ein. Diesen Austausch in beide Richtungen sieht Waack sehr positiv, um „das Thema Radverkehr immer mehr in der Stadtgesellschaft zu verankern“. Ein Ergebnis sind die erste Fahrradstraße in Leipzig sowie der Radweg vor den Höfen am Brühl. Eine Machbarkeitsstudie für Radschnellwege ins Umland ist in Arbeit, um speziell Pendler zum Umsteigen zu bewegen. Auch das Hauptnetz Rad, das heißt ein stadtweites Radverkehrsnetz zwischen allen Stadtteilen, kommt demnächst in den Stadtrat, um konkrete Maßnahmen abzuleiten und Lücken zu schließen. Waack wünscht sich auch eine Stärkung der Radwege durchs Grüne, um neue Nutzergruppen zu erschließen. Und überall ganz wichtig: Sicherheit und Komfort – aber nicht nur für Pkw, sondern Radfahrende.
Frank Willberg

*Die Stadt Leipzig ist im März 2019 gegründeten AG sächsischer Städte, Gemeinden und Landkreise zur Förderung des Rad- und Fußverkehrs e.V. (Rad.SN) beigetreten.

Nicht ohne sein Fahrrad: Christoph Waack
Foto: privat