Geheimnisse des Leipziger Westens

Wer aufmerksam durch den Stadtteil geht, begegnet gelegentlich kleinen, eher unscheinbaren Zeugnissen vergangener Zeiten. Einige dieser Relikte, deren frühere Funktion sich heute nicht mehr auf den ersten Blick erschließt, werden wir in loser Folge im Ortsblatt vorstellen.

Historischer Telefon-Linienverzweiger in der Lützner Straße

Mit zunehmender Bedeutung des Fernsprechwesens stieg Anfang des 20. Jahrhunderts die Notwendigkeit, die zunächst oberirdisch geführten Leitungen unter die Erde zu verlegen. Dabei bestanden die strahlenförmig angelegten Kabelnetze der Reichspost aus einem hierarchischen Verteilungssystem: Hauptkabel aus der Zentrale wurden an räumlich günstig gelegenen Knotenpunkten in sogenannten Linienverzweigern bzw. in nachgeordneten Kabelverzweigern in mehrere Leitungen aufgefächert. An den Verzweigungspunkten befanden sich Schalteinrichtungen, die von Metallgehäusen unterschiedlicher Größen und Formen geschützt waren. Gleichzeitig ermöglichten sie den Zugang für Wartungs- und Erweiterungsarbeiten am Kabelnetz. Verzweiger wurden am Straßenrand oder an Plätzen aufgestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden typisierte Gehäuse, von denen 1932 in Leipzig vier verschiedene Typen von Linienverzweigern und sieben Grundformen von Kabelverzweigern existierten. Zwei Linien- und sechs Kabelverzweiger sind heute in der Kulturdenkmalliste des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen verzeichnet. Diese wenigen verbliebenen sichtbaren Anlagen einer vorwiegend unterirdischen Infrastruktur sind wertvolle Zeugnisse der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Zudem veranschaulichen sie, wie die Reichspost seinerzeit mit einer variantenreichen Typenvielfalt auch ästhetische Impulse ins Stadtbild gesetzt hat.
Im Leipziger Westen stehen neben dem kleinsten Kabelverzweiger in der Plautstraße 20 die beiden einzigen in Leipzig erhaltenen Linienverzweiger: An der Lindenauer Nathanaelkirche ein zylindrischer Grundkörper mit einer drehbaren Lagerung über dem Sockel und an der Lützner Straße 166 (Ecke Saalfelder Straße) ein achteckiges Metallgehäuse auf Kunststeinsockel. Die Telekom als bisherige Eigentümerin hatte die technisch überholten Anlagen nicht mehr genutzt, so dass für das Objekt in der Lützner Straße wegen seines schlechten Erhaltungszustands die Verschrottung drohte.
Daraufhin ergriff der Lindenauer Stadtteilverein e.V. die Initiative und stellte beim Amt für Bauordnung und Denkmalpflege der Stadt Leipzig einen Antrag zur Notsicherung des Linienverzweigers. Mit der DENKMALSOZIAL gGmbH konnte ein neuer Eigentümer für das Kulturdenkmal gewonnen werden. Mitgliedsbeiträge der Mitglieder des Lindenauer Stadtteilvereins, unterstützt durch private Spenden sowie Fördermittel der Denkmalpflege und aus dem Verfügungsfonds Leipziger Westen ermöglichten die Durchführung der nötigen Sicherungsarbeiten im Herbst 2020. Seitdem steht der zuletzt hinter einem Bauzaun und inmitten dichten Gestrüpps versteckte Linienverzweiger wieder frisch lackiert und gut sichtbar auf der kleinen Grünfläche am Lützner Plan.
Zur „Einweihung“ hatte der Stadtteilverein eine öffentliche Radtour von der Nathanaelkirche zur Lützner Straße geplant, vorbei an allen in Leipzig noch vorhandenen Verzweigern. Leider musste sie pandemiebedingt abgesagt werden, soll aber baldmöglichst nachgeholt werden.

www.lindenauerstadtteilverein.de
Bedenklich schief und teilweise durchgerostet: der Linienverzweiger vor der Notsicherung. Foto: Lindenauer Stadtteilverein e. V.