Besuch in der Rumpelkammer – Teil 12

Der große Bluff oder: Marlene Dietrich und ihre verleugnete Schwester

Die Westernkomödie „Der große Bluff“ bot der Schauspielerin Marlene Dietrich (1901-1992) ein außergewöhnliches Betätigungsfeld. Sie durfte nicht nur singen, sondern auch pokern, raufen und betrügen. Doch auch im wahren Leben hielt sie das Geheimnis, sie sei als Einzelkind mit ihrer Mutter aufgewachsen, lange aufrecht. Dabei hatte sie eine ältere Schwester, Elisabeth (1900-1973) Liesel genannt.
Ungleicher von Charakter und Lebenslauf können zwei Schwestern wohl kaum sein: Die aus Berlin stammende Marlene Dietrich, die nach ihrem Filmerfolg „Der Blaue Engel” Anfang der 1930er-Jahre in die USA emigrierte, unterstützte die US-amerikanischen Soldaten als Sängerin und Truppenbegleiterin in ihrem Kampf gegen die Nationalsozialisten. Sie wurde zum Star von strahlender Schönheit, der Inbegriff des Glamour mit einer Tendenz zur Frivolität.
Die andere ordnete sich brav unter, war von eher plumper Figur und hatte eine besondere Begabung, sich unvorteilhaft zu kleiden. „Liesel“ war nicht nur naiv und verzagt, sie war obendrein auch ein geduldiger Blitzableiter für die Launen ihres dominanten Mannes, Georg Will. Und des Weiteren wie dieser Mitläuferin des Regimes, schlimmer noch: ab 1939 wohnhaft auf dem Kasernengelände von Bergen-Belsen, in dessen Nähe erst sowjetische Kriegsgefangene in einem Lager krepierten, und wo die SS von 1943 an ein Konzentrationslager betrieben. Es war Marlene peinlich, dass ihre Schwester mit ihrem Mann in Bergen-Belsen eine Kantine und ein Truppenkino für Wehrmachtssoldaten und SS-Offiziere führte. Darum habe die Hollywood-Diva ihre ältere Schwester Elisabeth Will verleugnet. Trotz das Liesel indirekt aufseiten der ‚Täter‘ gestanden hat, trifft Marlene sich heimlich mit ihr und unterstützt sie finanziell sehr großzügig. Im Gegenzug muss sie versprechen, keine Interviews zu geben oder sich fotografieren zu lassen. Und als der inzwischen völlig zurückgezogen lebende Star 1982, fast zehn Jahre nach Liesels Tod, in einem vom Kollegen Maximilian Schell geführten Interview gefragt wird, ob sie Geschwister gehabt habe, antwortet Marlene mit einem einzigen Wort: „Nein.“
Denn die ältere Schwester sprach noch Jahre nach dem Krieg von der „moralischen Integrität“ des Dritten Reichs: „Die Nazis hätten bei allem Übel doch nur die deutsche Ehre wiederherstellen wollen.“

1930: Marlene Dietrich ruft aus Hollywood ihre kleine Tochter in Berlin an. Fotograf: Erich Salomon. Er wurde am 7. Juli 1944 im KZ Auschwitz ermordet.
Text | Foto: Jens Rübner